Buchtipps
Stefan Haller: «Schattenmutter»
Ausgehend von ihren Tagebüchern erzählt Stefan Haller die Geschichte seiner psychisch kranken Mutter. Er beschreibt konsequent und ungeschönt die dadurch entstandenen Konflikte in der Familie – Konflikte, die alle Beteiligten glauben mit sich selbst ausmachen zu müssen, um ihr Umfeld zu schützen. Schicksalsergeben und bis zur Selbstaufgabe wird geschwiegen. In «Schattenmutter» bricht Stefan Haller das Schweigen und versucht, seine und die Biografie der Mutter zu entwirren.
Hohelied
Lesen Sie in diesem Sommer doch wieder einmal das Hohelied in der Bibel, in dem die erotische Liebe besungen wird. Weltliteratur!
Deine Liebe ist lieblicher als Wein, und der Geruch deiner Salben übertrifft alle Gewürze. Von deinen Lippen, meine Braut, träufelt Honigseim. Honig und Milch sind unter deiner Zunge, und der Duft deiner Kleider ist wie der Duft des Libanon.
Sie finden es im Ersten/Alten Testament unter Hohelied oder Hohelied Salomos oder Lied der Lieder.
Mary Oliver «Das wilde, kostbare Leben»
Die Erscheinungen der Natur giesst keine zeitgenössische Dichterin so zart und eindrucksvoll in Worte wie die 2019 verstorbene US-amerikanische Grande Dame der Lyrik Mary Oliver. Dieser Gedichtband unterstützt die aufmerksame Beobachtung in den kommenden Sommertagen.
Sommertag von Mary Oliver
Wer hat die Welt gemacht?
Wer hat den Schwan und den schwarzen Bären gemacht?
Wer hat den Grashüpfer gemacht?
Dieser Grashüpfer, ich meine – der, der sich aus dem Gras katapultiert hat.
Der, der Zucker aus meiner Hand frisst,
der seinen Kiefer vor und zurück bewegt statt auf und ab,
der sich umschaut mit riesigen und komplizierten Augen.
Jetzt hebt er seine blassen Vorderarme und wäscht sich gründlich das Gesicht.
Jetzt klappt er seine Flügel aus und schwirrt davon.
Ich weiß jedoch aufmerksam zu sein, mich fallenzulassen im Gras,
niederzuknien im Gras,
müßig und gesegnet sein, durch die Felder zu schlendern,
und das habe ich den ganzen Tag getan.
Sag mir, was hätte ich sonst tun sollen?
Stirbt nicht am Ende alles, und viel zu bald?
Sag mir, was planst du anzufangen
mit deinem einen, wilden und kostbaren Leben?
Cynthia Fleury «Die Klinik der Würde»
Welchen Stellenwert haben Pflege und Fürsorge (Care) in unserer Gesellschaft? Die Würde wird im Laufe der Zeit säkularisiert und dadurch dehumanisiert und entehrt. Unwürdigkeit ist heute gerade in Institutionen, die sich der Fürsorge verpflichten (z.B. Spitäler, Heime) gang und gäbe. Wie kann ein würdiges Zusammenleben nun funktionieren? Eine anspruchsvolle, lehrreiche Lektüre zeigt es!
Cynthia Fleury «Die Klinik der Würde», Suhrkamp, Berlin 2024
Giovanni Maio «Ethik der Verletzlichkeit»
Eine Ethik, die sich mit Verletzlichkeit als conditio humana befasst, fragt auch nach den Ursachen von Verletzlichkeit, den Auslösern und den konkreten Auswirkungen. Sie anerkennt, dass Angewiesenheit in Verletzlichkeit zu einer Stärkung der Autonomie führt (und dass das gängige monadische, autarke Autonomieverständnis eine Sackgasse und lebensfremd ist), dass dies zu einer sorgenden Verpflichtung nicht nur privater, sondern gerade auch gesellschaftlicher Natur führt, weil die Verletzlichkeit nicht auf einzelne Gruppen eingeschränkt werden kann. Wir alle sind verletzlich und darum immer auch im Werden begriffen, weil Situationen, in denen wir uns verletzlich wahrnehmen, stets die Möglichkeiten in sich tragen, neue Fähigkeiten zu entwickeln.
Giovanni Maio: Ethik der Verletzlichkeit, Herder 2024, CHF 26.50
Giovanni Maio, Prof. Dr., geb. 1964, Studium der Medizin und Philosophie in Freiburg, Straßburg und Hagen. Seit 2005 Professor für Bioethik, seit 2006 Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin. Er berät die Deutsche Bischofskonferenz wie auch die Bundesregierung und die Bundesärztekammer.